Verbrannte Kohle, verbrannte Erde 11FREUNDE
Grüner Rauch steigt langsam im Unterrrang der Düsseldorfer Arena auf, aus dem Oberrang schießen römische Lichter. Erst nur vereinzelt, dann immer mehr bis sich der Gästeblock in ein Meer aus sternschnuppenartigen Lichtern verwandelt. Es ist eine dieser Pyroshows, bei der selbst die größten Kritiker der Ultra-Bewegung hinter ihrem „Chaoten“-und-„Rowdys“-Gemurre eine gewisse Bewunderung nicht verhehlen können. Und auch der DFB sah ganz genau hin: 165.000 Euro muss Hannover 96 für die Pyroshow der Fans in Düsseldorf zahlen. Nur ein Beispiel von vielen, denn insgesamt kommt der Verein für Vergehen in der vergangenen Saison auf über 600.000 Euro. Die Rekordsumme bei den Niedersachsen sorgt für den zweiten Platz in der DFB-Strafentabelle hinter Eintracht Frankfurt und noch vor den üblicherweise auf den vorderen Plätzen zu findenden Vereinen wie Dynamo Dresden, Hansa Rostock oder auch dem HSV und Dortmund. Das könnte den seit Jahren schwelenden Konflikt zwischen Teilen der Klubführung und der aktiven Fanszene weiter, nun ja, befeuern.
Gähnende Leere im Niedersachsenstadion
Der Lieblingsverein von Gerhard Schröder, Carsten Maschmeyer und Oliver Pocher befindet sich seit Jahren in Händen des Großburgwedeler Hörgeräte-Moguls Martin Kind. Dieser liegt in einem beinahe schon als traditionell zu bezeichnenden Dauerclinch mit der aktiven Fanszene um die Deutungshoheit bei Hannover 96. In dem Streit gab es bereits unter anderem: gegenseitige Beleidigungen, eine Vereinsanteilsübernahme zum Spottpreis, willkürlich gekündigte Mitgliedschaften, regelmäßige „Kind muss weg Rufe“, einen Boykott der Ultras, die scheinbare Entmachtung Kinds durch die Mitgliederversammlung, einen Ex-Kanzler als Aufsichtsrat von Kinds Gnaden und den beinahe erfolgten Zwangsabstieg in den Amateurbereich wegen Umgehung der 50+1‑Regel.
Nachdem nun die Zahlungsaufforderungen des DFB für die Pyroshows bei den Auswärtspartien in Fürth (16.800 Euro), Hamburg (108.000 Euro) und Düsseldorf (165.000 Euro) bei 96 eintrudelten, wies die Spielbetriebs-GmbH in einem Statement darauf hin, dass die über 600.000 Euro Gesamtstrafe in der letzten Saison an anderen Ecken im Verein fehlten. Der Klub drohte seinen Anhängern, „dass künftig auch Verbandsstrafen in die Preisgestaltung (der Tickets, d. Red.) einfließen werden“. Eine Überlegung, die sich als durchaus riskant erweisen könnte, denn das Niedersachsenstadion ist in der 2. Bundesliga kein Zuschauermagnet. Ein Schnitt von etwas über 30.000 bedeutete in der letzten Saison den schlechtesten Wert seit zwanzig Jahren. Auch zum Saisonauftakt wurde das weite Rund am Maschsee mit 29.200 Zuschauern nur halbvoll. Gegen unattraktive Teams wie Auftaktgegner Elversberg kommen mittlerweile so wenige Menschen, dass die 96-Community vor solchen Spielen auf Social Media bereits Witze über diesen Umstand macht – kein Wunder bei Ticketpreisen von 37 Euro für die Gegengerade.
Als Bollwerk gegen leere Ränge fungiert einzig die immer volle Hannoveraner Nordkurve – doch ausgerechnet gegen diese schoss Kind bei einer Podiumsdiskussion einer Lokalzeitung erneut. Auf die Frage, ob nicht auch völlig unbeteiligte Fans durch die in Aussicht gestellten höheren Ticketpreise betroffen seien, meinte Martin Kind süffisant lächelnd, die Preisanhebung ließe sich auch „selektiv gestalten“, womit vermutlich die Tickets in der Nordkurve gemeint sind. Auch 96-Stürmerlegende und Kind-Protegé Dieter Schatzschneider gab bei selbiger Runde neben seinen Ansichten zu veganer Ernährung („Mein Körper lehnt das ab“) und Frauenfußball („ist wie ne vegane Wurst“) auch seine starke Meinung zu den eigenen Ultras zum Besten. Für ihn sei „dieses Geblöke und Geschreie nicht wichtig“, er wolle stattdessen „echte Fans, die nichts fordern, sondern einfach nur ein gutes Spiel sehen wollen. Wofür wollen die eigentlich Mitspracherecht? Für Geschreie?“

Derlei Ausführungen legen den Verdacht nahe: Hier geht es nicht um finanzielle Probleme, vielmehr soll den Ultras im Dauerstreit ein weiterer Haken gegeben werden. Dabei sind die „Kind muss weg“-Rufe mittlerweile auch abseits der Nordkurve zu hören. Eskapaden wie der Kommentar zum Wechsel von Marcel Halstenberg, den Kind als „naive Vorstellung“ abtat, während sein Sportdirektor bereits mit RB Leipzig darüber verhandelte, oder die offene Infragestellung des Trainers und der Mannschaft nach dem ersten Spieltag sorgen auch bei gemäßigten Sitzplatzfans für Kopfschütteln.
Spiel mit dem Feuer
Für langjährige Hannoveraner Stadiongänger dürften solche Aussagen kaum mehr als ein Rauschen im Blätterwald sein, weshalb es bisher auch noch keine Stellungnahme zur möglichen Ticketerhöhung aus der aktiven Fanszene der Niedersachsen gibt. Mit seinem geschätzten Vermögen von 600 Millionen Euro könnte der agile 79-jährige Martin Kind die Verbandsstrafen eigentlich aus der Portokasse bezahlen. Schließlich spielt auch der demographische Wandel seinem Geschäftsmodell mit Hörgeräten und Brillen in die Karten. Doch stattdessen macht der Patriarch lieber den nächsten Nebenkriegsschauplatz auf. Es scheint: In Sachen Ruhe und Harmonie spielt Martin Kind ähnlich gerne mit dem Feuer wie die Hannoveraner Ultras im Block – nur dass der Klub dies statt mit Strafzahlungen an den DFB mit sportlichem Misserfolg in den vergangenen Jahren bezahlte.
ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWeYlruvu9WeqWaoqae8bsDInKKerKNkhXqElWpsbA%3D%3D